Gamma-Blitz traf Erde

Ende letzten Jahres wurde die Erde von einem gewaltigen Gammastrahlen-Ausbruch getroffen. Astronomen konnten inzwischen die Quelle dieses so genannten Bursts bestimmen: ein Magnetar in rund 50.000 Lichtjahren Entfernung. Die Messungen könnten helfen, diese Gammastrahlen-Ausbrüche besser zu verstehen und eventuell auch ein jahrzehntelanges Rätsel zu lösen.
Integral

Am 27. Dezember 2004 um 22.30:26 Uhr MEZ wurde die Erde von einer gewaltigen Wellenfront von Gamma- und Röntgenstrahlung getroffen. Es war der stärkste Fluss von hochenergetischer Gammastrahlung, der jemals gemessen wurde. Das hat jetzt ein Team um Dr. Roland Diehl und Dr. Giselher Lichti vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching berechnet. Die Wellenfront war zudem intensiver als der stärkste jemals gemessene Strahlungsausbruch von unserer Sonne. Das Unglaubliche an dieser Entdeckung ist die Entstehung dieser Strahlung: Sie stammt von einem winzigen Himmelskörper mit höchster Dichte, einem Neutronenstern, einem so genannten Magnetar, mit einem extrem starken Magnetfeld, der sich auf der anderen Seite unserer Milchstraße in etwa 50.000 Lichtjahren Entfernung befindet. Die Garchinger Astrophysiker sind sich sicher, dass das Ereignis ein völlig neues Licht auf die Physik von Magnetaren werfen wird und dazu beitragen wird, ein seit langem existierendes Rätsel um kosmische Gamma-Strahlenausbrueche lösen zu können.

„Das spektakuläre Ereignis haben wir dem Magnetar mit dem Namen SGR 1806-20 zu verdanken“, erklärt Lichti. „Dieser Neutronenstern hat einen Durchmesser wie eine mittlere Großstadt und eine Masse vergleichbar mit der Sonne. Er erlitt eine gewaltige magnetische Instabilität, wobei sich sein starkes Magnetfeld in einen niedrigeren Energiezustand umorientierte“, erklärt der Astrophysiker. „In den ersten 0,2 Sekunden wurde dadurch von diesem Objekt die gleiche Energiemenge emittiert wie von der Sonne in etwa einer Viertelmillionen Jahren. Dieser Ausbruch war etwa 100-mal stärker als der bisher stärkste beobachtete Ausbruch (englisch burst) von einem Magnetar.“

Magnetare sind Neutronensterne, deren Magnetfelder das 1.000fache des bei Neutronensternen üblichen Wertes aufweisen. Man schätzt, dass etwa zehn Prozent aller Neutronensterne zu dieser Sternklasse zählen. Neutronensterne entstehen beim Kollaps von Sternen einer bestimmten Gewichtsklasse bei einer Supernovaexplosion. Sie haben einen typischen Durchmesser von etwa 20 Kilometern und ein extrem starkes Magnetfeld der Größenordnung 1012 Gauß (Zum Vergleich: Das Magnetfeld der Erde hat eine Stärke von etwa einem Gauß), das sich als Folge der Gesetze der Elektrodynamik ergibt, wonach das Produkt aus Sternquerschnitt und Magnetfeld beim Kollaps des Vorläufersterns konstant bleibt. Das um den Faktor 1.000 stärkere Magnetfeld eines neugeborenen Magnetars entsteht innerhalb weniger Sekunden durch einen komplexen Dynamoeffekt in seinem Inneren, verursacht durch Konvektion und schnelle Rotation.

Die spektakuläre Wellenfront wurde von einem Detektor des MPE an Bord des Integral-Satelliten gemessen. Es handelt sich dabei um das von der Gammagruppe am MPE gebaute Antikoinzidenzschild des Integral-Spektrometers SPI, einen der empfindlichsten Gammaburstdetektoren, der zur Zeit die Erde umkreist. „Allein durch die Messung dieses Strahlenausbruches hat sich die durch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) geförderte Entwicklung dieses Burstdetektors gelohnt“, sagt Giselher Lichti, unter dessen Führung dieser Detektor entwickelt und von den Firmen Jena-Optronik und Astrium gebaut wurde.

Doch nicht nur der Integral-Satellit zeichnete das Ereignis auf. Die Wellenfront wurde noch von 13 anderen Röntgen- und Gammadetektoren im Weltraum gemessen, die zwischen Erde und Saturn Messungen durchführen. „Sogar der russische Coronas-F Satellit sah diesen Burst, obwohl er sich zur Zeit des Ereignisses hinter der Erde befand, er die direkte Strahlung von der Quelle also gar nicht messen konnte“, erklärt Giselher Lichti. „Die Analyse der Ankunftszeiten ergab, dass das russische Instrument Gammastrahlen gemessen hatte, die von der Mondoberfläche reflektiert worden waren.“

Wegen der Stärke des Bursts und seiner durchdringenden Strahlung konnten auch Detektoren die Wellenfront messen, die nicht auf die Stelle am Himmel gerichtet waren, von dem die Strahlung kam. Die Gammastrahlung durchdrang nämlich die Abschirmungen aus Metall oder Kristallen und brachte die Detektoren kurzzeitig in die Sättigung. Ob das vom MPE gebaute Instrument auf dem Satelliten INTEGRAL in die Sättigung ging, muss noch geklärt werden. „Das Verhalten unseres Detektors unter so hohem Strahlungsfluss muss noch detaillierter untersucht werden, um eine genauere Abschätzung der gesamten Energieabstrahlung dieses Ereignisses zu erlauben“, sagt Andreas von Kienlin, Astrophysiker am MPE, der das Instrument kalibriert und in Betrieb genommen hat.

„Der Ausbruch des Neutronensterns begann mit der Emission von energiereicher Gammastrahlung, die nur einen Bruchteil einer Sekunde dauerte, aber den Großteil der emittierten Energie enthielt. Dieser Ausbruch war gefolgt von einer schwächeren Gammaemission, die mehr als sechs Minuten andauerte und deren Intensität mit einer Periode von 7,56 Sekunden oszillierte. Diese Oszillation wird mit der bekannten Rotationsperiode des Neutronensterns in Verbindung gebracht“, erklärt Andreas von Kienlin. „Unsere Messungen zeigten, dass die Energieverteilung der Gammaquanten des Ausbruchs charakteristisch für ein ultra-heißes thermisches Plasma ist“, sagt Andreas von Kienlin. „Genau das, was wir von einem Magnetar erwarten, der leichte hochenergetische Teilchen ausstößt. Die meisten dieser Teilchen zerstrahlten offensichtlich in reine Gammastrahlen, die dann in den interstellaren Raum entwichen.“

Die oszillierende Gammaemission stammt offenbar von übriggebliebenen Elektronen und Positronen, die im Magnetfeld des Magnetars eingeschlossen sind, vermuten die Astrophysiker. Die Theorie sagt vorher, dass solch ein heißer eingeschlossener Feuerball innerhalb von Minuten schrumpfen und verdampfen sollte. Seine Helligkeit scheint zu oszillieren, weil der Feuerball über das Magnetfeld an die Oberfläche des rotierenden Neutronensterns gebunden ist.

Die riesige Energiemenge des Ausbruchs vom 27. Dezember 2004 legt eine neue Lösung für ein altes Problem der Gammastrahlen-Burstastronomie nahe: Es handelt sich um die Frage nach den Quellen dieser so genannten „Short-Duration Gamma-Ray Bursts“. In den letzten 35 Jahren hat man Hunderte von kurzen (weniger als zwei Sekunden dauernde) mysteriösen Blitzen von hochenergetischer Strahlung aus den Tiefen des Raumes gemessen, ohne dass man weiß, woher diese gemessene Strahlung kommt. Eine Hypothese besagt, dass diese Strahlung bei der Verschmelzung von zwei kompakten Objekten (etwa von zwei Neutronensternen oder einem Neutronenstern mit einem Schwarzen Loch) entstehen könnte. Die neuen Beobachtungen lassen nun eine weitere Interpretation der Beobachtungen zu: Es könnte sich dabei nämlich zum Teil um Ausbrüche wie dem am 27. Dezember beobachteten handeln.
Magnetar

Diese Idee wird von Kevin Hurley von der Universität Berkeley (Kalifonien) und seinem Team vorgeschlagen. Danach können solche kurzen Ausbrüche auf Grund ihrer Intensität von sehr fernen Galaxien beobachtet werden. Ein Ereignis mit der vor kurzem gemessenen Stärke könnte bis zu Entfernungen von einigen Hundertmillionen Lichtjahren beobachtet werden. „Da sich in diesem Entfernungsbereich viele Galaxien befinden, müsste man solche Ereignisse häufig sehen. Man könnte damit also die Beobachtungen zu einem großen Teil, wenn nicht sogar ganz, erklären“, meint Giselher Lichti.

Wie kann man sich nun den enormen Energieausstoß von einem solchen Magnetar erklären? Die Erfinder des Magnetar-Modells, die Theoretiker Robert Duncan (Universtät von Texas, Austin) und Christopher Thompson (Canadian Institute of Theoretical Astrophysics, Toronto), schlagen folgendes Szenario vor, um den gigantischen Energieausstoß bei einem solchen Ausbruch erklären zu können. Um ihre Idee verstehen zu können, muss man sich erst einmal das ungeheuer starke Magnetfeld eines Magnetars bewusst machen, das um einen Faktor 1.000 stärker ist als das eines normalen Neutronensterns. In solchen starken Feldern wird beispielsweise ein Wasserstoffatom so stark deformiert, dass es nadelförmig wird (rund 200 mal schmaler als lang). So ein Stern hat tief in seinem Inneren ein stark verdrilltes Magnetfeld, dessen Magnetfeldlinien sich wie eine Uhrfeder um die Rotationsachse winden. Sein äußeres Magnetfeld jedoch ähnelt mehr oder weniger dem eines Dipols eines Stabmagneten (vergleichbar dem Erdmagnetfeld).

Man glaubt, dass das verdrillte innere Magnetfeld das Überbleibsel der schnellen Rotation ist, die der Neutronenstern bei seiner Entstehung mitbekam. Es enthält den größten Teil der magnetischen Energie des Sterns. Dieses Magnetfeld übt eine Kraft auf die ein Kilometer dicke Kruste des Sterns mit einem Radius von zehn Kilometer aus und verschiebt diese. Das hat zum einen zur Folge, dass sich das äußere Magnetfeld verdrillt und zum anderen, dass starke Ladungsströme um den Stern fließen. Wenn sich die Magnetfelder immer stärker verdrillen, dann lassen diese Ströme den Stern hell im niederenergetischen Gammabereich aufscheinen. Die Verdrillung des äußeren Magnetfeldes beeinflusst auch die Rotation des Sterns und führt zu einer stärkeren Abbremsung.

Das scheint auch mit dem Magnetar SGR 1806-20 passiert zu sein. Von März 2004 bis zum Ausbruch im Dezember hat SGR 1806-20 viele einzelne schwache Ausbrüche gezeigt, die auf eine Verschiebung der Kruste hindeuteten. SGR 1806-20 wurde also immer heller im Gammalicht, mit Emission von immer mehr harten Gammaphotonen und einer stärkeren Abbremsung. Alle diese Messungen deuteten darauf hin, dass sich das äußere Magnetfeld mehr und mehr verdrillte. In dem Modell für den Ausbruch vom 27. Dezember von Duncan und Thompson wurde die Verdrillung so stark, dass der Stern mit seiner Kruste instabil wurde. Die Spannung des äußeren Magnetfelds hat sich dann in einem enormen Ausbruch entladen und es dann in einem niedrigeren und unverdrillten Zustand neu angeordnet.

Zur Zeit des Ausbruchs war der Magnetar nur fünf Grad von der Sonne entfernt. Er befindet sich in der Konstellation Sagittarius, in der Nähe des galaktischen Zentrums. Mit Hilfe des interplanetaren Netzwerkes, einem Zusammenschluss von mehreren Satellitenmissionen, gelang es Kevin Hurley mittels Triangulation die Position des Ausbruchs mit dem Magnetar SGR 1806-20 zu identifizieren. Die Position wurde von Radioastronomen des Very-Large Array-Teleskops in Socorro, New Mexico, durch Messung eines schwächer werdenden Nachleuchtens bei Radiowellen bestätigt. Die Beobachtung dieses Nachleuchtens liefert außerdem wichtige Informationen über den Explosionsmechanismus und wird zu einem besseren Verständnis des beobachteten Phänomens beitragen.

„Für das Leben auf der Erde bestand durch den Magnetar-Ausbruch jedoch keine Gefahr, da die Atmosphäre für diese Art von Strahlung undurchsichtig ist. Diese Strahlung ionisiert die Atome der Hochatmosphäre und wird dabei absorbiert“, gibt Giselher Lichti Entwarnung.

(Quelle: http://www.astronews.com/news/artikel/2005/02/0502-015.shtml vom 21.02.2005)

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